Digitales Malen oder die Transformation der RealitÀt
Vita brevis, ars longa – Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang! VollstĂ€ndig soll dieser Hippokrates und spĂ€ter Seneca zugeschriebene Aphorismus gelautet haben: âDas Leben ist kurz, die Kunst lang, die Gelegenheit flĂŒchtig, der Versuch gefĂ€hrlich, die Entscheidung schwer.â Man könnte diesen weisen Satz ĂŒber fast jedes KĂŒnstlerleben schreiben.
Robert Rauschenberg, gelegentlich auch als âAmerikas Picassoâ bezeichnet, nannte seine frĂŒhen EinfĂ€lle âCombinesâ â Vereinigungen. Anfangs nicht ernst genommen, wurden sie spĂ€ter zu âinstant classicsâ, zu Ikonen eines neuen Kunstbegriffs, die die BrĂŒcke schlugen zur spĂ€teren Pop-Art.
De Koonings hatte seine Wischgesichter, Jackson Pollock seine Tropfbilder, Jasper Johns seine Sternenbanner und Andy Warhol seine Tomatensuppendosen: Rauschenberg persiflierte alle Trendsetter seiner Zeit â und ĂŒberwand sie dabei lĂ€ssig, indem er sich von deren starren Stilkorsetts befreite.
VerkĂŒrzt gesagt, alles ist Kunst und Kunst ist alles â man muss nur den Mut haben, die schwere Entscheidung fĂŒr gefĂ€hrliche Versuche zu wagen. Wo die Gefahren lauern, ist sehr verschieden, der eine KĂŒnstler wird politisch wegen missliebiger Aussagen verfolgt, der andere muss seine Konzepte gegen brave Kunsthistoriker verteidigen.
Ich verteidige nichts, denn ich muss das in unserer heutigen Zeit nicht mehr. Alles ist erlaubt, alles ist möglich. Ich denke und mache, was ich will, und ob es gefĂ€llt, das liegt im Auge und Herzen des Betrachters. Da es den einen Betrachter aber nicht gibt, sondern viele verschiedene Augen, stehen mir alle Wege offen. Ich habe das genutzt und meine Werkzeuge dem 21. Jahrhundert entlehnt. Alles ist virtuell geworden, jeder Pinselstrich entstammt einem Algorithmus. Meine Werkzeuge sind Programme, Tastaturen, Maus, Graphiktablett, mein Skizzenblock der Bildschirm. Nur als endgĂŒltiger TrĂ€ger sind Leinwand und Papier geblieben. Obwohl dies im Zeitalter digitaler Bilderrahmen auch verzichtbar wĂ€re. Ich arbeite auch daran.
Meine digitalen Transformationen bedienen sich zwar gĂ€ngiger Blickweisen und alltĂ€glicher Sujets, ĂŒberwinden jedoch die fotografische RealitĂ€t durch Reduktion hin zu einer geradezu heraldischen Sinnhaftigkeit. Darin liegt eine gewisse Ironie, denn das Ausgangsmaterial ist dabei letztendlich ebenso unwichtig wie die verwendeten digitalen Techniken, welche diese Transformationen erst möglich machen. Insofern ist es völlig unerheblich, ob es am Ende weiche ĂbergĂ€nge oder störrische Pixel zu sehen gibt, ob die Leinwand schweres Malerleinen oder dĂŒnner Fotostoff oder ein Monitor ist, ob Bilder gedruckt oder an HauswĂ€nde projeziert werden.
Die Welt durch die Augen des KĂŒnstlers in Form, Farbe und Struktur stets neu zu definieren, ist der eigentliche Zweck. Deshalb sind fĂŒr mich banale Fragen nach Materialien, Techniken, Farben usw. völlig irrelevant, denn in einer Zeit, in der die bildende Kunst jede Grenze gesprengt hat, ist technisch grundsĂ€tzlich alles möglich und erlaubt. Wenn es ein Bild schafft, im direkten Kontakt mit dem Betrachter in einen intimen Dialog zu treten, und ihn so ebenfalls zu transformieren, ist subjektiv alles fĂŒr den KĂŒnstler erreicht. Sogenannte objektive Rezeptions-Kriterien sind trockenes intellektuelles Beiwerk, zuweilen interessant, doch letztlich ein stets von neuem scheiternder Versuch, das lebendige Kunstwerk in Schubladen gepresst zur Ader zu lassen.
Burkhard P. Bierschenck M.A. Â
(Auszug aus einem Vortrag aus dem Jahr 2012)